Die Nobelpreisträgerin für Literatur wird oft angefeindet, aber die meisten dieser Wut-Bürger kennen kaum eine Zeile von ihr. Der Unkenntnis kann jetzt abgeholfen werden: mit einer Dokumentation, die ihr Werk ausführlich zu Wort kommen lässt. Die Regisseurin Claudia Müller wählt dafür eine collagenartige Filmsprache, die sich der Experimentierfreude der Autorin anschmiegt. Auf Jelineks musikalischen Sprachfluss antwortet der Film mit einem Fluss der Bilder, einem Puzzle von Versatzstücken, Widersprüchen, Zitaten und ganz vielen älteren Interviews, aus denen sich nach und nach ein intimes, feinfühliges und differenziertes Bild herausschält, das Platz lässt für eigene Assoziationen des Zuschauers. Die Regisseurin geht dabei nicht streng chronologisch vor, driftet aber nicht ins rein Essayistische ab, sondern formt verschiedene Bausteine, die dem Publikum die Künstlerin und den Menschen Elfriede Jelinek näherbringen. Ein ganz wichtiger ist die Kindheit, das Leiden unter der dominanten Mutter, die aus der einzigen Tochter ein musikalisches Wunderkind machen wollte und ihr mit einem unerbittlichen Drill von früh bis spät zusetzte. Das Schreiben sei auch deshalb ihre Rettung von der Tyrannei gewesen, erzählt die Autorin einmal, weil es die einzige Kunstform war, die die Mutter nicht goutierte. Die Porträtierte scheint gespürt zu haben, mit wieviel Zuneigung und Achtsamkeit die Regisseurin ans Werk ging. Die seit zwei Jahrzehnten öffentlichkeitsscheue Autorin gewährte ihr zum Schluss ein aktuelles Gespräch und einen kleinen Dreh. Zu entdecken ist eine entspannte, selbstreflektierte und manchmal auch ironische Frau, die sehr offen über ihr Schreiben und ihr Leben spricht.
Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen