In diese Spielzeit starten wir diesmal mit etwas ganz Besonderem: Einer tatsächlichen Premiere, genauer gesagt sogar mit zwei, denn auch „Nebenan“ wird eine sein. Das mittlerweile ehemalige Ensemblemitglied des Theaters an der Ruhr, Rupert J. Seidl, befasst sich seit vielen Jahren mit den Texten von Uwe Dick, der vielen durch seine „Sauwaldprosa“ bekannt ist, und bringt nun mit „Der ÖD“ quasi eine Theateruraufführung bei uns im Stadttheater auf die Bühne.
Seidl, geboren 1955, studierte an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, war unter Claus Peymann am Bochumer Schauspielhaus engagiert, gründete zusammen mit P. Bierey und E. Koltermann das freie Theaterproduktionsnetzwerk „Sezession“ und war Intendant des Schlosstheaters Moers, ehe er 1999 Ensemblemitglied des Theaters an der Ruhr unter Roberto Ciulli wurde. In Landsberg gastiert er regelmäßig seit Mitte der 1990er Jahre. Zudem ist er vielen bekannt aus dem bayerischen Kultfilm „Xaver“ von Werner Possardt, in dem er die Titelrolle spielte und den wir am 11. September im Filmforum zeigen werden, natürlich unter Anwesenheit des Titelhelden.
1979 entsteht der Monolog des bayerischen Dichters Uwe Dick „Der ÖD – Das Bio-Drama eines Amok denkenden Monsters oder: Wechselfiebrige Anfälle von Weisheit, Torheit und Faschismus. Eine volkskundliche Studie“, den Dick selbst über dreihundert Mal als „Hörspieler und Schausprecher in einer Legasthenokratie“ in szenischer Lesung zur Aufführung gebracht hat. Er skizziert Text und Charakter folgendermaßen: „Der ÖD… kommt daher in Redensarten, baut sich auf aus Sprichwörtern, Arsenal-Tiraden, Bier und dazu Schnaps; moderne Mischtechnik. Aufmisch-Technik. Einer wird fertig gemacht, quasi: Ma muaß aa amoi a Aug ausdrucka kenna! Andererseits Sensibilität, intellektuelle Potenz, die freikommen möchte: Raus aus der Fertigteilsprache, aus den überkommenen Antworten und Lebenslügen. Der Öd – Ein Psychodrama vor einer Gesellschaft von Verbrauchern, die sich nicht bescheiden will, die lieber verkrebst als verzichtet.“
Älter, verletzter, vielleicht bitterer, aber auf jeden Fall unerbittlich überschreitet der Öd an diesem Abend nun die Grenze in das Theater, in die Tiefe des Bühnenraums und in die Szene, direkt in das Schauspiel hinein. Das traditionelle bayrische Wirtshaus verschwimmt in die Trostlosigkeit der Tankstellen-Bewirtung, namenloser Schnellimbisse mit Sitzgelegenheiten und schafft Platz für eine Begegnung mit seiner Antagonistin: einer Servicekraft, die ganz bestimmt nicht aus Europa stammt und seiner bayerischen vox clamantis in deserto vielleicht nur ein einziges deutsches Wort entgegen schmettern kann. Vielleicht lässt der Abend auch jeden Naturalismus hinter sich und überschreitet die Märchengrenze in einen Raum, in dem Tor und Tod – aber solche aus dem Kasperltheater! – sich und uns allen die letzte Frage stellen: Wie kann, wie soll man leben?
Der bayerische Dichter Uwe Dick, 1942 in Schongau geboren, 2007 mit dem Jean-Paul-Preis des Freistaates Bayern ausgezeichnet, wurde unter anderem mit Werken wie „Theriak“, „Monolog eines Radfahrers“ oder „Wer einen Dachschaden hat, der ist freilich offen fürs Höhere“ einem breiteren Publikum bekannt. 1976 erschien die erste Fassung seines Lebensbuches „Sauwaldprosa“ und zuletzt 2022 in einer finalen Ausgabe. Die Autorin und Übersetzerin Eva Hesse nennt Uwe Dick den „ersten Autor von Format im deutschen Raum, der den allgegenwärtigen stillschweigenden Verrat am Leben konsequent zur Sprache bringt.“
Dauer: ca. 90 Min keine Pause