Das süditalienische Matera ist die Bibelfilm-Hauptstadt der Welt: ursteinerne Schönheit in langer Zeit bitterster Armut. Pier Paolo Pasolini drehte hier 1964 „Das 1. Evangelium Matthäus“, den großartigen Film, den wir heute eigentlich erneut zeigen wollten, aber wegen der Rechtslage nicht konnten. Für das Kulturhauptstadtjahr 2020 entschied sich der Schweizer Theaterregisseur Milo Rau etwas in Matera zu inszenieren, für einen Jesus-Film: „Das neue Evangelium“. Darin sieht man nicht nur die biblischen Geschehnisse, sondern auch Szenen aus der italienischen/europäischen Flüchtlingswirklichkeit. Man bekommt Eindrücke hinter die Kulissen der Produktion. So steht Milo Rau am Anfang mit seinem Jesus-Darsteller einem Mauervorsprung über Matera. Er zeigt auf das Murgia-Plateau gegenüber und sagt: „Das ist Golgota“. Dort hatte Pasolini die Kreuzigungsszene gedreht, und auch sie würden dort die Kreuzigung drehen. Ausschlaggebend für Raus „Neues Evangelium“ war die Frage, wer Jesus sein könnte, was er sagen, mit wem er sich umgeben, wofür er eintreten und sterben würde. Die Antwort darauf ist sein Protagonist, der 1985 in Kamerun geborene politische Aktivist Sagnet, der erste schwarze Jesus der Filmgeschichte. Seine Jünger, fast alle schwarz wie er, rekrutiert er in den Matera umgebenden Flüchtlingslagern. Es scheint derzeit besonders fruchtbar, Geschichte, Theater, Film und politische Aktion miteinander zu verknüpfen. Globaler Realismus und interdisziplinäres Arbeiten sind ziemlich gute Ideen für ein Kino der Zukunft.